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Der Parasit
Der Morgen, frisch wie du, so bitter bewusst schlägt er
sich aufs Gemüt nieder: nichts weit und breit als Frust.
Dort, kaum vier Meter auf dem Kanal, fährt auch ein Kutter
des gleichen Namens. Das Fähnchen flattert lustig im Wind:
Frust, frustig, frustrierend. Der Morgen, im denkbar
helligsten Sonnenschein, erglänzt dir zum schallenden
Hohn; das Blitzen der Sonnenstrahlen auf den Häuserdächern
bleckt: hier und dort, hierdort. Du weisst kaum, wo dir
der bitterschwere Kopf steht, der zu Boden drückt; wozu
du, unnützig, kein geöltes Rädchen in dieser Weltmaschine,
dienen magst, Blinddarm und Kropf schlechthin? Irrwitzig
und verkrampften Psychopathenminen gleich siehst du
neidlos diejenigen, die von Arbeit getrieben werden,
Stufen hinauf- und hinabhetzen, sich gestreckten Daumens
und erhobenen Armes grüssen. Selbst die Enten, jeder Teil
des ganzen Schwarmes, keines, aber auch wirklich keines
muss das hässliche spielen, verfolgen ihre
Nahrungsaufnahme hingebungsvoll und traut. Da sehe ich sie
wieder, wovor ich am liebsten flüchtete oder mich
versteckte hinter einem Toreingang, bis sie vorbeigezogen
sind, sie, gleich eine ganze Meute, ein bellendes Rudel,
unverkennbar grotesk an dem näselnden Akzent,
Geschnattere, hektischen Sprachrhythmus, ihrem
Egozentrismus und ihrer Zielstrebigkeit: ein Arbeitstrupp.
Deren Verhalten, sie, die wissen, wozu sie da sind,
nämlich zu werden, wie ich sein sollte - aber bitteschön!
Sie marschieren an mir vorbei, in Viererreihen, Gleich-
und Laufschritt und Gänsemarsch, so, als zögen sie in den
Krieg, in ihr Feldlager. Aus ist's für dich, zur Wahl
aufgestellt worden zu sein! Keinen Bock mehr hast du, den
Tag zu verblödeln, einen Haufen Geld dabei auszugeben und
bis zum Hals voll mit Bier ins Bett zu plumpsen,
schlaftrunken lallend: "Das-war's-wieder-mal!" Denn du
bist schon die aussterbende Art, der Dino mit überreifem
Hirn ... Ich trete in die Pedale, oh wie ich in diese
plötzlich gewalttätig hineintreten kann, mir die Freiheit
ertrete. Am Kleinstadt-Lokal heran, Spiessrutenlauf an den
Augen-Polizisten vorbei, wenn sie unter der Dorflinde
sitzen, deren schwere Blätterdächer sie wie eine
Schirmmütze vor Gegenblicken schützt, dessen bewusst umso
unerbittlicher hervorspähen zu können. Wortfetzen fange
ich auf, die diesmal nicht mir gelten, aber mich doch
befreiend ankommen. Ich fange eine Ablenkung, eine
wirkliche, weil eine Neuheit, das Kleinstadtgespräch
schlechthin ein: Es hat sich jemand umgebracht; jemand,
der tagfürtag in die Kneipe am Tresen, sogar aufmerksam
vor der Zeitung sass; also auch kein Dummer, meist im
Stadtgespräch Verwickelter; der mit-dabei war und mit-dazu
gehörte, weil er bei der Weltmeisterschaft für die eigene
National-Elf seinen Monatslohn verwettet; einer von uns,
so dass festgestellt werden musste: Unsereiner hatte sich
gewaltsam aus unserer Mitte gerissen; hat sich sang- und
klanglos aus dem Staub gemacht, hat Tschüss gesagt, ohne
sich um die Zurückgebliebenen mehr zu scheren; sich
urplötzlich als Verräter entpuppt; sich so unerwartet um
die Ecke gestohlen, dass es Verrat an unseren eigenen
Interessen bedeutet; eine Narbe, eine klitzekleine Wunde
hinterlassend ... fassungslos dies, tatsächlich. Pedale
tretend gegen den steilen Abhang mit Vorstellung vom
Selbstmord Unsereiners: Dum-Dum-Geschoss in dem Mund
gelenkt, das zweiseitig aus einen dem der Schädel platzte,
kurzer schmerzloser finiter Tod: Gratulation, Herr
Kfz-Meister für Mercedes Benz-Panzerautos, bester
Job-Inhaber; hat seine Entleibung berufsgerecht vollzogen,
was wunder, da schon frühzeitig von den Eltern auf
schnell-leistungsstarke Motoren geeicht. `Ich hätt ja auch
studieren können. Aber ich hab zu meinen Eltern gesagt:
ich brauch action', hört er ihn tönen am Tresen mit
jemanden anderen, tönen in seiner Erinnerung. Oder: `Wer
ist der reichste in unserem Ort`, eine Frage von regional
eminenter Bedeutung. Aber Selbstmord? Das gönne ich euch
nicht in meinem Fall, keineswegs. Lieber vegetiere ich
amphibisch, fauna- und floragleich dahin, nämlich
weiterhin schmarotzerisch. Schliesslich bildete dies nur
einen Grund für euch, erneut ein weiterer Trinkspruch
auszustossen: "Trinken wir noch einen drauf! Auf der Fahrt
vom Dorf in die Grossstadt, im Zug oder im Mitfahrauto -
damit fängt's zunächst an. Hier wird zuerst der kleine
Unterschied mit einiger Auswirkung deutlich. Ich muss
sparen. Alle müssen sparen. Ich muss besonders viel
sparen. Das ist einsichtig. Obwohl ich weniger als alle
habe, muss ich mehr als alle sparen. Eigentlich ein
widersinniger Sinn: wie kann jemand mehr sparen, da er
doch weniger hat als die anderen? Doch da ich gerade mehr
ermangele als andere, habe ich einen grösseren Bedarf,
etwas zu haben. Das ist die vernünftigste Logik. Denn ich
will mir genausoviel anschaffen, zur Seite legen, am Luxus
teilhaben wie sie. Dafür muss ich aber mehr sparen. Wie
geht das, obwohl es nicht gehen kann? Das ist der
berühmt-berüchtigte gordische Knoten, der mit dem Schwert
entzweit wird, halte ich mich doch nicht an die Regeln der
anderen - an Euere. Schliesslich habt Ihr es leichter, die
Regeln einzuhalten, sind sie ja auch nicht von ungefähr
von Euch für Euch aufgestellt worden. So darf ich mich
einfach nicht an diese Regeln, an euere Regeln halten,
muss sie unterlaufen, damit ich bei dem Weniger, das ich
habe, genausoviel spare wie Ihr, die Ihr mehr habt. Das
heisst, ich muss, wenn nicht intelligenter, so doch
raffinierter, cleverer oder schlicht frech, hintertrieben
und kaltschnäuzig sein. Und wie mache ich das? - Aber noch
einen Moment bitte! Ich brauche wohl dem Leser auch die
andere Seite, die Notwendigkeit zu sparen, nicht extra
lang und breit darzulegen. Denn eigentlich ist es nicht
das, dass ich Luxus, Amusement und
Geld-zum-Fenster-hinauswerfen,
Damit-ich-es-mir-recht-gut-sein-lassen-kann haben muss. Es
ist vielmehr so, dass ich, je zurückgesetzter gegenüber
anderen ich mich sehen muss, desto selbstbewusster,
auserwählter und gezwungener empfinde, dazu, ohne Euch,
die anderen, die Priviligierten, es zu etwas zu bringen,
meine eigene Sache zu haben, auch in der Welt als jemand
dazustehen. Ja! Vielleicht, gerade deswegen, um's Euch zu
zeigen, dass ich auch in Euch einzureihen bin, nicht
anders als Ihr seid?! Dem widerspricht in keinster Weise
meine Missachtung und Unterlaufung Euerer Regeln, die
eigentlich ungerecht sind, gemessen an meinen
Möglichkeiten, die Ihr mir einräumt. Für mich
unverhältnismässige Beschränkungen, die diese Regeln
bedeuten, zu hintergehen, stellt mich gerade auf gleicher
Stufe, bedeutet eigentlich nur die Einlösung der
ausgleichenden Gerechtigkeit. Genaugenommen zwingt Ihr
mich dazu! Damit beweise ich mich; dadurch lege ich
Zeugnis dafür ab, dass ich genauso lebenstüchtig bin wie
Ihr. Denn ich schlage Euch mit Eueren eigenen Waffen.
Nach oben!
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