Aktuelle
Kurzgeschichte, in den letzten Jahren veröffentlicht
(comming-of-age-story)
Das Schlauchboot (2025)
Bereits am
frühen Morgen weckte sie das Familienoberhaupt und
deutete gebieterisch auf den grünen Streifen am blauen
Horizont: „Das wird heute unser Ausflugsziel sein!“
Eine Insel in dieser weiten See. Er hatte das
Schlauchboot aufgeblasen, unterdessen sie hastig einen
Muckefuck hinuntergeschluckt hatten. Dann hatten sie
gemeinsam das Gefährt an den Strand geschleift und ins
Wasser bugsiert.
Der heftig
flatternde Wimpel mit der Aufschrift „Kaufhauselite"
war ihnen Richtungsgeber.
Am Himmel
wurde das Blau plötzlich grau. Der Himmel war völlig
bewölkt, Dicke Wolken waren jedoch nicht zu sehen. In
der Luft lag der Geschmack von Feuchtigkeit, aber die
roch nur, wer mit der Natur vertraut war.
Doch das
Boot schwankte gewaltig in den Wellen, die ans Land
brachen. Der Vater beschwichtigte: Laut
Bedienungsanleitung müsse es Wellen bis zu einem Meter
hoch trotzen.
Es hatte
jedoch niemand bislang gezweifelt.
Nunmehr aber
maulte die Tochter: „Aber ich weiß nicht!" Sie starrte
mit gerunzelter Stirn auf das Gummiboot. Es
beunruhigte sie noch mehr als sie ohnehin schon war.
Zudem fehlte das Ersatzruder, das noch im Kofferraum
des Familienvans lag. Ohne es wäre es zu gefährlich,
loszufahren.
Wer sollte
es holen?
„Brauchen
wir unbedingt ein Ersatzruder?“ Das war ihr im Grunde
egal.
„Was
glaubst Du? Wenn eines der Ruder bricht und wir
befinden uns mitten auf dem See? - Und es kommt Sturm
auf! Sollen wir dann vielleicht mit den Händen
rudern?“, sagte er mit rauer Stimme.
Widerwillig
gehorchte sie.
Sie hatte es
geholt. Die Mutter hatte noch etwas gemurmelt, dass
sie dem Schlauchboot auch nicht traue. Was sie aber
noch mehr beunruhigte war das Wetter: „Schau dir mal
die Wolken dort an!“.
„Ach
was!“, hatte der Vater barsch erwidert.
„Schiff
Ahoj!“
Und so
schaukelten sie nun zu dritt unruhig in dem kleinen
Gummiboot verloren auf fast offener See.
Das Wetter
war stürmischer geworden, trotz angestrengten Ruderns
kamen sie kaum vom Fleck. In der Ferne winkten die
Palmen, aber die Insel wollte doch nicht näher kommen.
Sie war einfach viel zu weit entfernt, als sie gedacht
hatten.
Sie hielten
inne. Sie waren ungefähr in der Mitte des Sees. Zurück
oder vorwärts, was war unter diesen Umständen das
Vernünftigste? Der Wind schien sich zu einem kleinen
Sturm zu entwickeln.
„Habe
ich es nicht gesagt!“, maulte die Mutter wieder.
Der Vater
ruderte zurück: „Woher solll ich das wissen? Bin ich
etwa vom Fach? Seemann, oder was?“
Aber ein
Zurück gab es nicht für ihn. „Los, los! Weiter!“
Am meisten
waren Kind und Mutter außer Atem. Der Familienvater
musste nur lenken.
In der Nacht
hatte sie wachgelegen und die Viertelstunden-Schläge
der nahen, kleinen Kapelle gezählt. „Viertel vor
eins!“ Und fast hätte sie den Ein-Uhr-Glockenschlag
verdöst. Langsam, Zahn für Zahn öffnete sie hellwach
vor Aufregung den Reißverschluss ihres Schlafsacks.
Die Eltern durften keinesfalls aufwachen. Sie hörte
ihren gleichmäßigen Atem. Leise kroch sie heraus, lief
befreit zum Zelt des Freundes.
„Guten
Abend!“, sagte sie. Sie kicherten darüber. Immerhin
war es mitten in der Nacht. Dann gingen sie
händchenhaltend zum Strand.
Plötzlich
graue Wolken am Himmel.
„Verdammt,
es wird doch kein Unwetter aufziehen?“, schrie das
Familienoberhaupt. Auf der Insel bogen sich schon die
Palmen und Segelboote fuhren schnell dort vorbei.
„Hilfe!“ Hatten sie richtig gehört? „Danger!“, rief
jemand aus der Ferne. Plötzlich erhob sich ein
Stimmengewirr wie ein Sturm. „Los, los!“, brüllte der
Vater ihnen allen zu, „wir müssen uns beeilen!“
Sie bewegten
sich in eine Richtung, die die Tochter gerade nicht
einschlagen wollte. Immer wieder blickte sie zu dem
violetten Zelt hinter sich. Es hob sich durch seine
Farbe von allen anderen ab. Dort wohnte er und seine
Eltern. Dort wollte sie am Abend wieder sein. Von dort
aus würde sie wieder mit ihm zum Strand schlendern.
Das Boot
bekam eine Seitendrift. Die Tochter hielt nach jedem
Ruderschlag kurz inne, - Blick zum Zelt - und ruderte
dann wieder weiter. Die Mutter musste mit kräftigen
Ruderschlägen gegensteuern. Ihr Plastikruder brach.
Der Vater beschimpfte sie: „Du musst uns natürlich
jedes Mal den Urlaub vermiesen!“
Die Tochter
raunte leise: „Vielleicht ist es der letzte!“ Sie
hörte auf zu rudern.
Morgen früh
würde er zurückfahren. Heute Abend würde die letzte
Gelegenheit sein, gemeinsam an den nächtlichen Strand
zu gehen. Oh, wie sie die warmen Wellen liebte, wenn
sie sich vor ihren Füßen brachen und über ihre Beine
ergossen. Die Fuße wurden umspielt im feuchten Sand,
die Zehen umschlossen, woran die Sandkörner kleben
blieben.
Wie
hypnotisiert starrte sie in die wogenden Wellen.
Er war der
erste Junge, den sie mehr als mochte. Ein toller Typ.
Nicht eitel, nicht eingebildet, kein Sprücheklopfer.
Und sie mochte es sogar, wenn er sie berührte, seinen
Arm um sie legte, seine Hände in ihre. Das nannte man
doch Liebe, oder? Ja, nun konnte sie endlich lieben.
Oh, das waren schöne Gefühle!
Der Vater
schaukelte das ganze Boot, um seine Tochter aus dem
Träumen zu reißen und schrie: „Elfriede, willst du,
dass wir hier ersaufen?“
„Vielleicht!“,
entgegnete
sie ihm störrisch.
Das
Ersatzruder war aus dem Seitenteil des Bootes gezogen
und befestigt worden. Es konnte weitergehen.
Zärtlich
hatte er den Arm um sie gelegt und sie hatte die Augen
schließen müssen, um die Schauer zu ertragen, die ihr
über den Rücken liefen. Nicht einmal das Rauschen der
Wellen hatte diese Wahrnehmung verschluckt. Die See
schien weit, weit weg zu sein.
Auch das
Ersatzruder brach entzwei, Wasser strömte herein.
In der Ferne
verschwand das Zelt des Freundes im Wasser.
Ich
Schafologe (2025) oder das beste Schaf im Stall meiner
Mutter
Meine
Mutter und sie musste es schließlich gewusst haben,
hatte mich ja immer schon vor Mädchen gewarnt.
In
den letzten Jahren hatte ich zwar vermehrt Kontakt zu
ihnen. Aber in jüngster Zeit verschwanden sie auch
wieder so schnell wie sie kamen. Mir verwirrte sich bei
diesem Wechselspiel ganz der Sinn.
Besonders
interessant war es freilich, traf man erneut mit ihnen
zusammen. Ich kann es mir zwar nicht erklären, weswegen
ich immer derjenige bin, der sitzen gelassen worden war,
doch würde ich niemals aufgeben.
Ich
bot stets die denkbar ärgste Liebesmühe auf, sowie
setzte alle erdenklichen Listen, Finten und
Schmeicheleien ein, wieder etwas von der allzu
entbehrten ehemaligen Zuneigung zu erhaschen.
Nicht
nur, dass ich alles an ihnen toll, superb, fantastisch,
umwerfend, hinreißend, hinwegspülend, einmalig, typisch,
cool, geil, schön, lecker, ultra, ultimativ, massiv,
produktiv, positiv, genial, super, unbeschreiblich
weiblich, was weiß ich nicht alles, fand, meine äußerste
Entblödung machte sogar davor nicht Halt, der Art eines
Kavaliers gemäß, zu schwören, ihr es zu verzeihen, dass
sie aufgehört habe, mich am meisten auf der Welt zu
lieben. „Das hindert mich ja nicht, dich weiter zu
lieben!“, brachte ich es auf den Punkt.
Somit
hatten die Mädchen natürlich freie Wildbahn,
unbeschränkte Suhle und Futterneid niemals.
Selbstvergessen
rezitierte sie ein Gedicht: "Es ist nicht mehr diese in
dir gesenkte Schwere."
Ich
musste etwas sagen, musste Worte erheben, auch, damit
ich das Gefühl bekam, dass sie mich jetzt überhaupt
wahrnahm, spürte und hörte: „Handelt es sich um einen
Mann? Um mich vielleicht?"
"Es
ist ein anderer."
"Wer?
Sag es schon!", rief ich laut und empört. Denn Neid,
Eifersucht, Misstrauen verbreitete sich wie ein Virus in
meiner anschwellenden Blutbahn.
"Vielleicht
nennst auch du mich einmal so...“ Endlich wachte sie
über meine vorlaut geäußerten kessen Worte wie aus
Trance erwacht auf und rief verärgert: „Du Schafskopf,
das ist ein Gedicht von mir!"
"Oh!
Daran hatte ich allerdings nicht gedacht.", vergrub ich
mich reumütig wie eine Schnecke ins Hornhaus, weil man
sie zu unsanft an den Fühlern gestoßen hatte.
Bald
jedoch steckte ich wieder meinen Kopf aus dem
Spiralenhaus hervor, um einer anderer Taktik folgend nun
vorerst einmal Schuldgefühle zu wecken, wo da welche
sein mochten.
Ich behauptete
beispielsweise doch einfach dreist, sie liebe mich nur
noch mit halben Herzen.
"Ach,
Schaf!", enteilte meiner Verflossenen ein tiefer
Seufzer.
Doch blieb ich
am Ball mit der Unterstellung, ihr Herz sei ja
mittlerweile von einem ganz anderen besetzt, in Schach
gehalten und belagert, dass für mich keine noch so
kleine Kammer darin mehr frei sei.
"Am
liebsten wäre mir natürlich, könnte ich euch beide
lieben!“, räumte sie jetzt ein. Hoffnung und Jubel
keimte in mir auf: auch für mich war noch ein
Quadratzentimeterchen übriggeblieben.
Doch wie zur
Warnung hob sie den Zeigefinger, das Mahnzeichen für die
Schwachen und Kleinen: „Wobei mir aber keiner fremdgehen
dürfte!“ Auch das wäre mir recht gewesen, Treue selbst
unter diesen Umständen, wo ich sie nur halb hätte
besitzen können. Mir wäre jede Bedingung Recht gewesen,
zweifelsohne.
„
Aber, ach!“, seufzte sie nun und begann ganz offen die
Treulosigkeit ihres Derzeitigen zu beklagen, während ich
jetzt meine Stunde gekommen sah und nicht unmüßig blieb,
frech das Feuer für unsereinen zu schüren, indem ich zum
Vergleich meine Person als die Bessere hinstellte.
"Ja,
du bist mein treuestes und bravstes Schaf" gab sie mir
Recht.
"Gell,
und wie brav?!"
"Ja,
so brav, dass du es allen zeigen könntest."
"Du
meinst, ich könnte glatt meine Bravheit
weitervermitteln, am Ende einen Lehrstuhl für
Schafologie besetzen."
"Oh
ja, dann fragst du die Leute, sitzen sie alle vor dir:
Wer will auch so ein großes Schaf werden wie ich?"
Am Dienstag hätte ich Zeit gehabt um
„Einmal-miteinander-zu-gehen“ (2000)
Ich hab, obwohl ich schon in einem
solchen Alter bin, wo man eine Freundin haben sollte,
keine.
Leider.
Meine Freunde und Bekannten ermahnen mich
in letzter Zeit immer wieder, dass es jetzt endlich Zeit
würde. Zeit wofür, frage ich zurück? Meist räuspern sie
sich zunächst, dann kommen sie heraus mit der Katze aus
dem Sack, wenn es auch klingt, als ginge die Katze immer
noch vorsichtig tappend um den heißen Brei: Ich solle
endlich mal mit einer gehen.
Okay, ich bin ein langsamer Typ, ich weiß
das, bedächtig, vorsichtig und wohlüberlegt. Vielleicht
auch ein wenig zu überromantisch. Das ist vielleicht
mein Fehler bei diesem Unterfangen
„Einmal-miteinander-gehen“ und so kommt es, weil ich
doch bestimmt schon einmal mit einer gegangen wäre, ohne
dass mich die lieben Mitbürger dauernd dazu hätten
auffordern müssen.
Aber so dumm bin ich nun auch wieder
nicht, dass ich tue, was andere sagen. Ha, ich springe
nicht gleich ins Wasser, wenn’s einer befiehlt. Ich habe
schon gründlich in mir geforscht, ob du das auch
wirklich willst oder ob du es nur deswegen machst, weil
dieses Verhalten anderer von dir erwarten: So bin ich
also solange und so tief in mich gegangen,
nachgeforscht, nachgeguckt, bis ich hab feststellen
müssen: Mensch, Willi, eigentlich würdest du doch
wirklich mal gerne „Mit-einer-gehen“, jawohl. Mensch
Willi, hab ich weiter zu mir sagen müssen, das war doch
schon seit sehr, sehr langer Zeit dein innigster Wunsch
immer gewesen. Also, wenn, wann nicht jetzt?
Und weiter hab ich mich gefragt in diesem
Zusammenhang: Warum eigentlich hat es bis jetzt noch mit
keinem Mädchen geklappt, Willi, obwohl, wie gesagt, es
dir eigentlich schon seit so langer Zeit auf den Nägel
brennt, „Mal-mit-einer-zu gehen“? Wenn, wenn, ja wenn du
nicht gar so überromantisch, zu frauenfreudlich, ja bis
frauenverehrrend gewesen wärst, oder wie man das
heutzutage halt nennt, bin ich zum vorläufigen Schluß
gekommen.
Zeit hab ich mir nämlich keine mehr
gegönnt, denn ich hab mir gesagt: Da hilft nichts, du
musst sie einfach mal ansprechen, damit du jetzt endlich
auch „Mal-mit-einer-gegangen-bist“, jawohl, hab ich
meine Hin- und Herüberlegungen schroff beendet.
Bei meinem Mit-mir-ins-Gericht-gehen
musste ich auf einmal wie aus heiterm Himmel geschossen,
wie der Blitz ins Dach einschlägt eben, heftig,
unerwartet und brennend, panikartig eingestehen – hm,
wie soll ich es nur ausdrücken. Ich gebe einfach meinen
Gedankengang dabei unverfälscht und unkommentiert
wieder: nicht nur nicht so: Wirklich ist es so, dass mir
schon die ein oder andere gefallen tät; nein so: eine
tät mir sogar sehr gut gefallen!
Denn es ist nicht so, dass mir Mädchen,
Frauen und Vertreterinnen des anderen Geschlechtes nicht
gefallen würden, so ist es auch wieder nicht. Aber es
hat mich dann doch sehr überrascht, dass mich plötzlich
eine total in ihren Bann geschlagen hat. Nicht lange
überlegen, warum fragen, wieso und weshalb und woher
alles kommt, ich hab sie angerufen und ihr gesagt, dass
sie mir gefiele und dass ich gern mit ihr gehen möchte.
"Ja", hat sie sich einverstanden erklärt.
Ich war froh, dass sie nicht „Warum“
gefragt hat, denn damit hatte ich beinahe gerechnet.
Aber stattdessen hat sie sich erst einmal, wenn auch
kichernd und lachend nach meiner Person im genaueren
informiert. Wer ich sei, woher ich komme, wohin ich
gehe? Anständig, artig und geduldig habe ich ihr so
erschöpfend wie möglich Auskunft gegeben.
Ich hatte schon damit gerechnet und war
nicht wenig überrascht, dass dann diese Frage gekommen
ist, was auf eine gewisse Selbstbezogenheit und
Selbstliebe von Mädchen schließen lässt, von denen ich
schon gehört, gelesen und geredet gehört. Nämlich, warum
gerade sie?
Bei allen erdenklichen Fragen erschien
mir diese auch als die schwierigste zu beantwortende, so
dass ich mir schon eine diplomatische Antwort zurecht
gelegt hatte, denn ich weiß schon, was ich im rechten
Moment an der rechten Stelle Rechtes zu sagen habe.
Ich wolle ihr dies ausführlichst bei
unserem „Einmal-miteinander-gehen“ schildern, darlegen
und unterbreiten, wie auch immer. Es sei zunächst
einfach dringend und pressant, dass ich
„Einmal-mit-ihr-ginge“, insistierte ich weiter. Ich
wüsste zwar momentan recht keine Antwort auf ihre Frage,
vielmehr war ich verlegen, hierfür die richtigen Worte
zu finden, weil ich solche noch nicht in Funk, Fernsehen
und Presse gehört habe, aber kommt Zeit, kommt Rat,
kommt Attentat. Notfalls müsste ich doch mal einen
Arbeitskollegen fragen, einen, der sich besonders gut
auskenne bei Frauen, wie er nimmermüde war, zu
behaupten.
"Wir könnten uns schon mal treffen, um
miteinander zu gehen", hat sie also die Absolution
erteilt.
Mit "Gut" hab ich die Sakramente
empfangen. Momentan weiß ich auch nicht, wieso mir hier
Begriffe aus dem klerikal-liturgischen Bereich
einfallen... Da müsste ich auch einmal einen Bekannten
fragen, der sich da gut auskennt...
"Hast Du am Montagnachmittag Zeit?", habe
ich jedenfalls ein Mann-ein-Wort resolut vorgeschlagen.
"Warum nicht?", hat sie freundlich und
gar nicht mehr kichernd, lachend oder herumalbernd
erwidert. Ich muss schon sagen, dies hat mir dann schon
imponiert, diese Ernsthaftigkeit. Sie hat wohl gemerkt,
wie ernst es mir war mit dem
„Einmal-mit-einander-gehen-wollen“ für mich.
So hat sie auch keine weiteren, unnötigen
Worte mehr gemacht: "Am Montag können wir uns treffen
und miteinander gehen!" und aufgelegt.
Uff, hab ich geschrien, einerseits vor
Freude, andererseits vor Erlösung, und den Hörer so
schnell wie selten auf die Gabel geknallt. Es hätte mich
nicht gewundert, wenn das Plastik unter meinen Händen
wegschmolzen gewesen wäre, so ins Schwitzen wie ich
gekommen gewesen bin. Aber der Telefonhörer war noch
völlig unverbogen.
Ich hab dann meine Freunde gefragt, ob
das normal ist, wenn man am Telefon anfänglich
unheimlich arg zu schwitzen anfängt, bevor man das erste
Mal einmal mit einander geht?
Wir waren gerade in der Frühstückspause,
beim Vespern, wo solche Themen am besten angebracht
sind. Eine Bombe explodierte gerade nicht, aber ein
Wecker jedenfalls rasselte schrill: Alle waren sofort
wach, das merkte ich sofort, obwohl ich meine Augen wie
immer auf der Tischplatte geheftet hielt, um einmal ja
nichts Bröselmäßiges auf den Boden fallen, dann zu
übersehen, schließlich am Ende dann verkommen lassen zu
müssen, was nicht sein musste zu sein und zweitens, weil
ich das halt immer tat, was ich gerade da tat, vor
allem, wenn ich Fragen stellte, wie heute, was ja ganz
normal ist, die mit einer gewissen Unsicherheit und
Neuigkeit verbunden sind.
Normalerweise bin ich nicht so
offenherzig und frei gegenüber den Kollegen, aber mir
ist doch das Ganze ein bisschen misteriös vorgekommen.
Ja, unheimlich wäre auch ein passendes Wort. Komisch,
träfe es auch, wobei ich es nicht schlecht bewerten
will, was da passiert war. Nachdenklich stimmend, ja
genau, das trifft den Nagel am genauesten auf den Kopf.
Nicht dass ich vermute habe, ich sei
krank geworden, psychisch krank, halt neurotisch, wie
dies das moderne Lexikon in solchen Fällen einem
belehrt, man dazu zu sagen hat. Der Grund lag darin, das
sie es ja waren, die mir dringenst ans Herz gelegt
haben, dass ich endlich mal mit einer ginge. Dafür
mussten sie mir jetzt auch Auskunft geben, das waren sie
mir pflichttunlichst schuldig, dafür mussten sie mir
jetzt gefälligst Auskunft zollen, fand ich. (Zugegeben
wusste ich auch nicht so recht, wohin mich wenden; und
ich musste, musste Information erhalten, nur um den
Neuigkeitswert dieser Information abzuhaken, versteht
sich.)
Ich hab sie also gefragt, ob ihnen dies
auch passiert ist, wo sie das erste Mal ein Rendevouz
vereinbart hatten zwecks Einmal-miteinander-gehens? Die
Freunde haben sofort aufgehört zu kauen, haben Ohren
gemacht wie die Hasen aus ihren Löchern und Stielaugen,
als sauste gerade über sie ein Sternenschweif hinweg.
Ich bin mir zwar ein bisschen
misstrauisch vorgekommen - sicherlich - fraglich, ob
dieses Misstrauen berechtigt war meinen Kollegen
gegenüber, zugegeben, die ja wirklich nur das beste von
mir wollten, wie sie unermütlich beteuerten, was ich
ihnen auch unumwunden glaubte – jedenfalls, je mehr ich
wahrnahm, desto schäbiger bin ich mir vorgekommen, hab
mich regelrecht in Grund und Boden geschämt, wie ich da
aus meinen Augenwinkeln von unten herauf geluchst habe,
was die da solche Verengungen unternahmen und
Verkrampfungen veranstalteten, als sei meine
Beharrlichkeit hinsichtlich der Erfüllung meines
Wunsches schon lästig und verbissen zu bezeichnen, als
könnten sie es fast nicht mehr hören. Zugegeben habe ich
sie schon einiges gefragt, was es dazu zu fragen gab.
Aber das, was mir da zugestoßen ist und jedem zustieß,
wie sie schließlich behaupteten, hatten sie mir nicht
erzählt gehabt.
Nur gut, dass sie mich schließlich dann
beruhigen konnten. Das sei völlig normal, ihnen auch so
ergangen, alles paletti. Schweigen. (Typisch für sie
übrigens.)
Ich habe mich deswegen auch beruhigen
lassen, weil ich mich neben dem Lexikon auch noch in
einer Jugendzeitschrift schlau gemacht hatte. Darin ist
dieses „Symptom“ auch als völlig normales Anzeichen der
Vorfreude beschrieben worden.
Vorfreude ist aber gar kein Ausdruck. Bei
mir war da noch viel, viel mehr im Spiel. Wegen des
Handflächenschweißes hätte ich es auch nicht getan, auch
nicht wegen dessen, dass das auch dauernd in
Jugendzeitschriften beschrieben wird, und schon gleich
gar nicht, weil alle meine Bekannten, Verwandten und
Freunde mich dazu drängten.
Erstens war ich noch niemals mit einer
einmal gegangen gewesen, und als Mann von Welt wollte
ich fast alles einmal gemacht haben, ergo auch
„Einmal-miteinander-gehen“.
Zweitens machte mir das Unheimliche daran
mittlerweile furchtbar viel Spaß: wann hatte ich schon
einmal einen Schweißausbruch gehabt? - unendlich lange
her. Was würde da noch kommen? – Dinge, von denen du
keine Ahnung hattest, weil welche nicht in den vielen
Jugendzeitschriften, die du gelesen hattest, gestanden
waren. Würde ich rechtzeitig angemessen reagieren
können, mir Worte fehlen, ja, würde ich gar die falschen
benutzen, sprich, so nicht gefasst darauf sein, dass mir
die richtigen diplomatischen Redewendungen einfielen?
Unausdenkbar, nein, so ist es richtig formuliert: es war
nicht auszudenken!
Drittens, das ist der Vorgriff auf das
Folgende, wollte ich, wenn ich schon einmal etwas
machte, es auch perfekt machen. Perfekt – sagte ich das
schon? – ist mein Lieblingswort!
In diesem Falle war die Erfüllung der
Perfektion geradezu ein Kinderspiel. Alle Eventualitäten
mussten nur berücksichtigt werden, dann würde es das
schönste Einmal-miteinander-gegangen-sein für sie und
mich bedeuten. Vielleicht ließe sich dadurch auch ein
Zweites-miteinander-gehen herausschlagen, wäre es nicht
zu schön, um war zu sein, sofern es Spaß bereitete, mit
einem Mädchen einmal zu gehen. Das wusste ich nicht,
noch nicht.
Aber alle Vorkehrungen dazu treffen, dass
es glatt über die Bühne ging, darin setzte ich meinen
Ehrgeiz zunächst unbedingt.
Am Sonntag bin ich dann in den Wald
gegangen, um den Weg abzulaufen, auf den ich mit ihr
wandeln würde.
Ich hab mir die Stellen eingeprägt, bei
der ich links von ihr ginge, wo sie ansonsten hätte
Gefahr laufen können, die Böschung hinunterzustürzen
oder rechts von ihr, damit sie sich nicht an einem
herunterhängenden Ast stieße. Jede Wurzel, die aus dem
Boden ragte, habe ich mit einem weißen Stein markiert.
An den Stellen, an denen wir uns ausruhen würden, hab
ich unterm Gebüsch oder im Dickicht etwas zum Wegverzehr
versteckt.
Als der Montag kam, ist sie dann nicht
gekommen.
Ich hab einige Zeit verstreichen lassen
und dann, ich glaube am Donnerstag, hab ich sie
angerufen und gefragt, warum sie nicht gekommen sei,
damit wir mit einander gingen.
Am Montag wäre etwas dazwischen gekommen,
hat sie gesagt.
"Aber am Dienstag hätte
ich Zeit gehabt, um mit dir einmal zu gehen!"